Eignungsuntersuchungen sind ein besonders sensibler Teilbereich in der Arbeitsmedizin, und das hängt mit der Interessenlage der Beteiligten zusammen. Bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge haben Unternehmen und Angestellte im Prinzip gleichgerichtete Interessen: Wenn Arbeitnehmer*innen gesund bleiben, können Unternehmen weiterhin mit deren voller Arbeitskraft rechnen. Bei Eignungsuntersuchungen dagegen können die Interessen auch einander entgegenstehen. Auch die Rahmenbedingungen und der Informationsfluss unterscheiden sich erheblich, weshalb Vorsorge von Eignungsbeurteilung streng zu unterscheiden ist.
Der Arbeitgeber möchte bei Eignungsuntersuchungen sicherstellen, dass eine Arbeit gut und sicher ausgeführt werden kann, und ist daher an einer eher strengen Beurteilung interessiert. Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin dagegen möchte vielleicht Zugang zu einem bestimmten Arbeitsplatz oder zu einer lukrativeren Tätigkeit bekommen – oder einfach nur den angestammten Platz behalten – und hofft daher in der Regel auf einen positiven Ausgang der Beurteilung. Vielleicht hat er oder sie auch grundsätzliche Bedenken, seinem Arbeitgeber gegenüber Informationen über gesundheitliche Einschränkungen preiszugeben – in dem Fall wird er oder sie einer Eignungsbeurteilung sehr kritisch gegenüberstehen und eine Teilnahme vielleicht auch gleich ablehnen.
Rechtliche Regelungen: Über viele Quellen verstreut
Sind widerstreitende Interessen im Spiel, gibt es oft detaillierte rechtliche Regelungen. Umso erstaunlicher ist, dass gerade bei den Eignungsuntersuchungen Regelungen oft unbestimmt und interpretationsbedürftig sind.
Die relevanten rechtlichen Bestimmungen sind über verschiedene Regelwerke verteilt. Sie finden sich z. B. in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), in berufsgenossenschaftlichen Vorschriften oder in Spezialregelungen für bestimmte Tätigkeiten, wie etwa der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) oder der Verordnung über Anforderungen an die Eignung von Luftfahrzeugführern (LuftPersV). Ein zentrales Dokument für Arbeitsmediziner*innen ist die DGUV Informationsschrift 250-010. Hier hat die Unfallversicherung wichtige Regelungen aus verschiedenen Rechtsquellen zusammengeführt und im Zusammenhang erläutert. Manches bleibt trotzdem vage.
Der Überblick: Die DGUV Informationsschrift 250-010
Die DGUV-I 250-010 spricht im Allgemeinen nicht von Eignungsuntersuchungen, sondern von Eignungsbeurteilungen, um zu unterstreichen, dass Entscheidungen nicht nur auf Grundlage von körperlichen Untersuchungen getroffen werden. Sie enthält recht präzise Angaben, in welchen Fällen grundsätzlich Eignungsbeurteilungen möglich sind.
Eignungsbeurteilungen müssen prinzipiell von arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen getrennt werden. Sie sollen die Frage beantworten, „ob die vorhandenen physischen und psychischen Fähigkeiten und Potenziale der Beschäftigten erwarten lassen, dass die während der Beschäftigung zu erledigenden Tätigkeiten ohne relevante Gefahren für Sicherheit und Gesundheit des oder der Beschäftigten oder Dritter von ihnen ausgeübt werden können.“
Dabei weist die DGUV-Information nachdrücklich auf die Rechte der zu beurteilenden Menschen hin. Arbeitnehmer*innen und Bewerber*innen müssen nicht nur einer Untersuchung ausdrücklich zustimmen, sondern auch der Weitergabe des Beurteilungsergebnisses an das Unternehmen. In keinem Fall dürfen Arbeitsmediziner*innen Informationen weiterleiten, die bei der Beurteilung einer Eignung für die konkrete Tätigkeit nicht von Bedeutung sind. Generell werden keine konkreten Diagnosen oder Details der Krankengeschichte weitergegeben, sondern lediglich Informationen zu aus den Erkrankungen resultierenden Einschränkungen, meist nach einem standardisierten Schema. So wird beispielsweise aus der Dauerdiagnose Asthma die Information über die Einschränkung, dass Tätigkeiten mit Einwirkung atemwegsreizender Stoffe wie Gase, Rauche oder Stäube zu vermeiden sind.
Eignungsbeurteilungen bei Antritt einer neuen Stelle
Relativ unproblematisch ist es, wenn die Eignung von Bewerber*innen vor Beschäftigungsbeginn überprüft werden soll. Bei einer solchen Einstellungsuntersuchung darf es nur um Gesundheitsaspekte gehen, die für die konkrete Tätigkeit relevant sind. Das Unternehmen kann dazu ein Anforderungsprofil festlegen. Möchten die Bewerber*innen sich nicht untersuchen lassen, kann das Unternehmen sein Stellenangebot zurücknehmen. In den Worten der DGUV Informationsschrift: „In diesem Falle bleibt es dann der Verantwortung des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin überlassen, ob er bzw. sie sich dennoch entscheidet, die Bewerberin bzw. den Bewerber einzustellen.“
Eignungsbeurteilungen im laufenden Beschäftigungsverhältnis
Komplizierter sind Eignungsbeurteilungen im laufenden Beschäftigungsverhältnis.
Grundsätzlich können in folgenden Fällen wiederholte Eignungsbeurteilungen im laufenden Beschäftigungsverhältnis vorgenommen werden:
- Spezielle Rechtsvorschriften verlangen ausdrücklich eine Eignungsbeurteilung. Solche Vorschriften gibt es z.B. für Berufskraftfahrer*innen gewisser Klassen, Zugführer*innen, Pilot*innen oder Seeleute.
- Eignungsbeurteilungen sind im Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im individuellen Arbeitsvertrag ausdrücklich vorgesehen. In diesen Fällen kann die Eignung überprüft werden, wenn Angestellte z.B. eine neue Tätigkeit mit anderen Anforderungen oder geänderter Gefährdungslage aufnehmen sollen. Auch routinemäßige Überprüfungen in regelmäßigen Abständen sind möglich, wenn bei der betroffenen Tätigkeit eine grundsätzliche Gefährdungslage für Angestellte oder Dritte durch technische und organisatorische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann.
- Wenn das Unternehmen begründete Zweifel hat, ob ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin eine bestimmte Tätigkeit überhaupt noch kompetent oder sicher ausführen kann, darf es eine Eignungsbeurteilung verlangen – auch wenn Eignungsbeurteilungen sonst nicht in Vorschriften vorgesehen oder vertraglich geregelt sind. Angestellte haben hier eine Mitwirkungspflicht. Wenn sie sich nicht untersuchen lassen wollen, kann der Arbeitgeber sie von dieser Tätigkeit abziehen.
Verhältnismäßigkeit
Diese Fälle klingen eigentlich ziemlich klar. Kompliziert wird die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Eignungsüberprüfung durchgeführt werden kann, durch eine weitere rechtliche Vorgabe: Eignungsüberprüfungen müssen verhältnismäßig sein. Als verhältnismäßig gelten sie dann, wenn sie „geeignet“, „erforderlich“ und „angemessen“ sind.
„Geeignet“ ist eine Maßnahme, mittels derer ein Zweck erreicht werden kann. („Kann die geplante Untersuchung tatsächlich ermitteln, ob dieser Arbeitnehmer für diese Tätigkeit geeignet ist?“)
„Erforderlich“ ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes Mittel gibt, durch das der Zweck auch erreicht werden könnte. („Könnte man die Beurteilung der Eignung nicht auch ohne diese Untersuchung durchführen?“)
„Angemessen“ (oder „verhältnismäßig im engeren Sinn“) ist ein Mittel, wenn es nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck steht. („Ist es wirklich sinnvoll, eine derart aufwendige Untersuchung durchzuführen, um eine derart kleine Gefährdung auszuschließen?“)
Beispiele: Szenarien aus der Praxis
Die oben konstruierten Beispielfragen lassen erahnen: In der Praxis ist es zuweilen schwer zu sagen, wann diese Anforderungen erfüllt sind. Die unterschiedlichen Interessen von Unternehmen und Arbeitnehmer*innen einerseits, die interpretationsbedürftigen Regeln andererseits können daher zu Konflikten führen. Einige Szenarien:
Beispiel 1: Körperlich anstrengende Tätigkeiten – Untersuchung „erforderlich“?
In einem Produktionsunternehmen werden Eignungsuntersuchungen für alle Mitarbeiter*innen eingeführt, die in der Lagerhaltung arbeiten. Einige fühlen sich aufgrund ihres Alters oder gesundheitlicher Einschränkungen diskriminiert, da sie nicht mehr die gleichen körperlichen Anforderungen wie jüngere Kolleg*innen erfüllen können.
Problem: Die Maßnahme wird als nicht verhältnismäßig angesehen, da nicht alle Mitarbeiter*innen tatsächlich körperlich belastet werden und alternative Maßnahmen wie Schulungen oder Anpassungen der Arbeitsplätze nicht in Betracht gezogen werden. Ist die Untersuchung im Sinne der Verhältnismäßigkeit „geeignet“ und „erforderlich“?
Eine Alternative könnte in diesem Fall eine Arbeitsplatzanalyse darstellen, um besonders fordernde Teiltätigkeiten zu identifizieren und vorrangig durch technische Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Mitarbeitenden kann die Vorsorge nach dem ehemaligen Grundsatz 46 “Tätigkeiten mit Belastungen des Muskel-Skelettsystems“ angeboten werden. Sollten sich im Rahmen der Vorsorge Erkenntnisse ergeben, die auch für das Unternehmen wichtig sind, können entsprechende Informationen und Anpassungsvorschläge mit Einverständnis der Mitarbeitenden unterbreitet werden, ohne dass der Druck einer Eignungsuntersuchung auf allen lastet.
Beispiel 2: Wiederholte Eignungsuntersuchungen – „angemessen“?
In einem Bauunternehmen werden bei allen Mitarbeiter*innen alle zwei Jahre umfassende Eignungsuntersuchungen angeordnet, auch wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht verändert haben.
Problem: Dies führt zu Frustration und Misstrauen unter den Arbeitnehmer*innen, da viele der Meinung sind, dass die regelmäßigen Untersuchungen unnötig und nicht verhältnismäßig sind. Die Kosten und der Zeitaufwand für die Untersuchungen werden als unverhältnismäßig im Vergleich zum tatsächlichen Risiko angesehen. Sind die Untersuchungen im Sinne der Verhältnismäßigkeit „angemessen“?
Eine Alternative könnte in diesem Fall sein, alle Tätigkeiten im Rahmen der regelmäßigen Gefährdungsbeurteilung darauf zu überprüfen, inwieweit eine grundsätzliche Gefährdungslage für Angestellte oder Dritte durch technische und organisatorische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann. Mitarbeitende in als besonders riskant eingestuften Tätigkeiten können über das Gefahrenpotenzial aufgeklärt werden – so ließe sich Verständnis für die arbeitsmedizinischen Untersuchungen schaffen. Die Fristen für Folgeuntersuchungen sollten dabei individuell und in Absprache mit den Mitarbeitenden durch die Arbeitsmediziner*innen festgelegt werden.
Beispiel 3: Datenschutzbedenken
In einem Krankenhaus werden Eignungsuntersuchungen für neue Mitarbeiter*innen eingeführt, bei denen auch persönliche Informationen zu bestehenden Krankheiten erfragt werden.
Problem: Die Angestellten äußern Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Verhältnismäßigkeit der erfassten Daten. Die Untersuchung wird als übergriffig empfunden, da viele der Befragten nicht sicher sind, wie die Informationen verwendet werden. Die Befragten arbeiten zudem in verschiedenen Tätigkeitsbereichen – viele zweifeln am Nutzen standardisierter Abfragen. Ist die Untersuchung „geeignet“ und „angemessen“?
Eine Alternative könnte in diesem Fall sein, lediglich die erforderlichen Pflichtvorsorgen vor Tätigkeitsantritt durchzuführen. Auch in diesem Kontext werden die relevanten Gesundheitsinformationen erhoben, was aufgrund des anderen Charakters und des geschützten Umfelds der Vorsorge im Kontrast zu der Eignungsuntersuchung von den Mitarbeitenden meist als weniger problematisch empfunden wird. Sollten sich relevante Erkenntnisse ergeben, die Eignungsthemen berühren, kann dies zwischen Arbeitsmediziner*innen und Mitarbeitenden besprochen werden und die betroffenen Mitarbeitenden können entsprechend beraten werden. Mit Einverständnis der Betroffenen kann der Arbeitgeber auch im Ergebnis einer Vorsorge über Einschränkungen und sinnvolle Maßnahmen informiert werden.
Vor dem Arbeitsgericht
Wenn die Beteiligten sich nicht auf eine Vorgehensweise einigen können, landen solche und ähnliche Konflikte zuweilen vor Arbeitsgerichten, vor allem dann, wenn wegen mangelnder Eignung Kündigungen oder Absagen drohen. Beispiele aus jüngster Zeit zeigen, wie genau die Abgrenzung zwischen Rechten und Interessen der Beteiligten oft vorgenommen werden muss.
Diskriminierung oder mangelnde Eignung? In einem aktuellen Fall befasste sich das Arbeitsgericht Siegburg mit der Frage, ob negativ ausfallende Eignungsbeurteilungen diskriminierend sein können. Es urteilte im März 2024, dass ein schwerbehinderter Bewerber nicht diskriminiert wird, wenn eine vereinbarte Einstellungsuntersuchung zu der Einschätzung führt, er sei für die Stelle nicht geeignet.
Gibt eine arbeitsvertragliche Regelung dem Unternehmen das Recht, Arbeitnehmer*innen nach einer negativ verlaufenen Eignungsuntersuchung zu entlassen? Damit beschäftigte sich das Arbeitsgericht Suhl im Oktober 2023. Hier wurde einem Arbeitnehmer nach einer negativ ausgefallenen Eignungsprüfung, die im Arbeitsvertrag vereinbart war, in der Probezeit gekündigt. Die Kündigung dieses laufenden Arbeitsverhältnisses war nicht rechtens, befand das Gericht. Zwar war die Untersuchung vertraglich vereinbart; die Klausel war aber zu vage: Der Arbeitgeber muss die Umstände, die zu einer Kündigung berechtigen, im Vertrag so klar formulieren, dass ihm keine willkürlichen Entscheidungsspielräume bleiben. Dahinter steht die Befürchtung, dass Unternehmen Eignungsuntersuchungen als Vorwand zur Entlassung von Mitarbeiter*innen missbrauchen könnten.
Fazit
Konflikte wie die oben beschriebenen ergeben sich aus gegenläufigen Interessen, aber auch aus unklaren rechtlichen Regelungen. Arbeitsmediziner*innen sind hier manchmal in schwierigem Gelände unterwegs. Die DGUV-I empfiehlt die sorgfältige Ermittlung und Dokumentation der Umstände, aufgrund derer Eignungsüberprüfungen in einer ganz bestimmten Form für notwendig befunden werden. Die Informationsschrift versucht so viel Klarheit wie möglich zu schaffen, muss aber selbst feststellen, „dass sich die Praxis nach wie vor mit zahlreichen offenen Fragen konfrontiert sieht.“
Quellen und wichtige Dokumente:
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): DGUV Informationsschrift 250-010
- Arbeitsgericht Siegburg: Urteil 20.03.2024 – 3 Ca 1654/23
- Arbeitsgericht Suhl: Urteil 25.10.2023 – 6 Ca 592/23